28. September 2021

Leitartikel POLIZEISPIEGEL

Deutschland hat gewählt – und nun?

Mit dieser Bundestagswahl hat sich die Parteienarithmetik nochmals deutlich verändert, schreibt der 1. stellv. DPolG Bundesvorsitzende, Joachim Lenders, im aktuellen Leitartikel des POLIZEISPIEGEL. Die bisherigen Volksparteien CDU und SPD haben endgültig ihren Status als Volkspartei verloren. Zwar liegen sie mit etwa zehn Prozent Vorsprung noch vor den drittplatzierten Grünen, doch denen folgen FDP und AFD relativ dicht.

Vollkommen abgeschlagen landet die Linke bei knapp unter fünf Prozent und spielt keine Rolle mehr. Grund dafür scheint zu sein, dass das linke Sektierertum im Westen der Partei den Garaus bereitet hat, während sie im Osten noch wahrnehmbare Ergebnisse geholt hatte. Und die AFD ist die selbst definierte und zementierte Oppositionspartei. Mit ihr spricht keiner – sie selbst will auch mit keinem sprechen, also insgesamt genauso bedeutungslos wie die Linke.

Wer der neue Bundeskanzler wird, lässt sich schwer vorhersagen. Zumindest stehen die Chancen für den bisherigen Vizekanzler Olaf Scholz nicht schlecht, da seine Partei die Nase vorn hat. Und seine SPD scheint auch mit der „Gallionsfigur Scholz“ den Sieg eingefahren zu haben. Natürlich wird die absolute Geschlossenheit innerhalb der SPD nach außen geradezu zelebriert und selbst ungefragt dann betont, wenn Journalisten die Frage nach dem Zusammenhalt noch gar nicht gestellt haben. Vielleicht auch ein Zeichen wie fragil die so formulierte Geschlossenheit in Wahrheit ist? Man darf zumindest annehmen, dass die SPD mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin aus der Parteispitze (Esken, Walter-Borjans oder Kühnert) diesen Sieg mitnichten eingefahren hätte. Also darf gefolgert werden, dass die SPD an dieser Stelle alles richtig gemacht hat.

Und genau zu diesem Ergebnis kann man bei der Union nicht unbedingt kommen. Erst ein Kampf um den Parteivorsitz, der denkbar knapp für Laschet ausging. Viele enttäuschte CDU-Mitglieder an der Basis fühlten sich übergangen, weil sie das Gefühl hatten, dass der Sieger der Kandidat des Parteiestablishments war. Egal, die Bundestagswahl rückte näher und die Reihen mussten geschlossen werden… wenn da nicht plötzlich der „Kandidat der Herzen“ in der Person des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder um die Ecke gekommen wäre. Eigentlich sollte der Kandidat ohne großes öffentliches Aufsehen ausgewählt werden. Am liebsten wie 2002 beim „Wolfratshauser Frühstück“ die K-Frage im Hause von Edmund Stoiber zu seinen Gunsten entschieden wurde (allerdings entschieden sich die Wähler nicht für Stoiber und Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler).  

Nun durfte die interessierte Republik einer tagelangen Schlacht um die K-Frage beiwohnen. Alles wurde aufgeboten, was man sich nur vorstellen kann. Auch die Abstimmung in der Bundestagsfraktion über die K-Frage stand im Raum. Aber Laschet und seine Gefolgschaft war zielsicher unterwegs nach dem Motto „was interessieren mich schon ein paar Umfragen“. Letztlich kennen wir das Ende: wiederum mit dem Establishment der Parteiführung wurde der Sieg für Laschet durchgesetzt. Muss man tatsächlich davon ausgehen, dass wenn der Kandidat schon keine klaren und eindeutigen Mehrheiten in der eigenen Partei auf sich vereinigen kann, er aber dann bei dem Rest der Wählerschaft enthusiastische  Jubelstürme auslöst? Die Umfragen zur Person Laschet besagten zumindest auch etwas anderes. Aber das etwas in die Jahre gekommene Zugpferd CDU legte einfach die Scheuklappen an und trottelte dann mal los. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll in der Berliner Parteizentrale auch die Losung ausgegeben worden sein „et küt wie et kütt“ und „et hät noch immer jod jejange“.

Und nun…? Das vorläufige Endergebnis steht fest: Die SPD liegt vorn, relativ dicht gefolgt von der CDU. Die eigentlichen „Königsmacher“ werden Grüne und FDP sein. Bereits in der Elefantenrunde am Wahlabend machte FDP-Chef Lindner deutlich, dass sich als erstes Grüne und FDP zum Gespräch treffen sollten. Verblüfftes Staunen bei den vermeintlichen Wahlsiegern Scholz und Laschet. Aber irgendwie hatte er ja recht: ohne Grüne und FDP wird nichts laufen. Nur sie gemeinsam in einer Dreierkoalition eingebunden werden die neue Bundesregierung bestimmen. Eine große Koalition nimmt ja nicht wirklich jemand ernsthaft als Option an.

Wer also bestimmt künftig maßgeblich die Politik dieser Republik? Zwei Parteien mit 14,8 und 11,5 Prozent? Nun ja, gemessen am Prozentsatz aller Wahlberechtigten eine sehr kleine Schnittmenge. Aber ein „Großer“ kommt ja noch hinzu.

Welche Auswirkungen das alles auf uns Polizeibeschäftigte haben wird, ist schwer absehbar. Bisher zumindest waren die Grünen nicht gerade bekannt dafür, Vertrauen in die Polizei zu haben. Die Kennzeichnungspflicht wurde von ihnen ständig vorangetrieben und überall dort wo sie an der Regierung beteiligt waren auch eingeführt. Und die jeweiligen Koalitionspartner (entweder SPD oder CDU) haben es übrigens immer mitgetragen. Spannend wird auch die Frage nach der Bürgerversicherung. Wenn sie mit rot/grün kommen sollte und die FDP es nicht verhindern kann/will wird es zu deutlichen finanziellen Einschnitten bei den Polizeibeschäftigten kommen. Viele andere Baustellen in der Inneren Sicherheit liegen auf dem Tisch, ob es die gerade erst gescheiterte Novellierung des Bundespolizeigesetzes ist, die Probleme bei der Bekämpfung von Banden und Clankriminalität oder bei der Cyberkriminalität. Die Aufzählung ließe sich munter fortführen.

Wir werden zunächst die Sondierungen abwarten müssen. Dem schließen sich möglicherweise zähe Koalitionsverhandlungen an. Ich persönlich gehöre zumindest nicht zu denen die glauben, dass bis Weihnachten eine neue Bundesregierung im Amt ist.

Vielleicht doch noch die nächste Neujahrsansprache mit Angela Merkel und dann Neuwahlen? In diesen turbulenten Zeiten kann man nichts ausschließen…