In einem Beitrag der aktuellen Ausgabe "Moderne Polizei" des Behördenspiegel schreibt DPolG Bundesvorsitzender Rainer Wendt: "Innerhalb weniger Wochen hat sich in Zeiten der Corona-Krise das Kommunikationsverhalten in Sicherheitsbehörden verändert. Wenn Projektgruppen oder Führungsrunden plötzlich neue Regeln einhalten müssen, boomen Video- oder Telefonkonferenzen mit unterschiedlichsten Programmen, da ist viel Improvisation dabei, manches geht schief, aber oft genug staunen Teilnehmende auch, wie bedienerfreundlich manche Instrumente sind und wie viel Zeit gespart wird, wenn sie nicht quer durchs Land reisen müssen, um an einer Besprechung teilzunehmen."
Es wird noch viel Veränderung brauchen, damit sich diese neue Gesprächskultur dauerhaft in der Polizei und andere Sicherheitsbehörden entwickelt. Aber wer weiß, vielleicht werden diese Formate im Jahr 2030 schon längst Standard sein und viele Teilnehmende sich fragen, wie das eigentlich „früher“ gemacht wurde. Möglicherweise schauen wir bei Videokonferenzen dann schon längst nicht mehr auf langweilige Bildschirme, sondern können die Anwesenheit anderer Personen virtuell fast so abbilden, als säßen sie leibhaftig neben uns.
Viele technische Rahmenbedingungen werden sich ändern müssen. Die IT-Infrastruktur in den Sicherheitsbehörden in Deutschland ist regelmäßig schwach, unsicher und zersplittert. So wie mit dem Projekt Polizei 2020 Datentöpfe miteinander vernetzt werden sollen, muss auch die Kommunikationsinfrastruktur erheblich besser als bisher aufgebaut sein und einer inneren Logik folgen.
Neue Entwicklungen von Kriminalität und Terror, die durch Krisenherde, Katastrophen, Kriege und andere Auslöser bedingten riesigen Wanderungsbewegungen von Millionen Menschen sind nur einige der Herausforderungen, die es erforderlich machen, Versäumtes nachzuholen und endlich wieder „vor die Lage“ zu kommen. Der Nachwuchs der Polizei ist völlig anders sozialisiert als frühere Generationen, entsprechend ändern sich auch die Vorstellungen von Kommunikation. Die Polizei der Zukunft wird es sich gar nicht leisten können, ihre qualifizierten Krädfte ständig zu irgendwelchen „Meetings“ zu entsenden, nur um dort Gedanken miteinander auszutauschen, die im online geführten Dialog hätten übermittelt werden können, schnell und ressourcenschonend, zielgenau und ohne großen Aufwand.
Ein weiteres Handlungsfeld rückt in diesem Zusammenhang in den Blickpunkt: Das Home Office. Clevere Behörden und Unternehmen haben dieses Instrument auch schon in der Vergangenheit genutzt; in der Krise hat es Hochkonjunktur erhalten. Trotzdem scheint es vielen Führungskräften immer noch suspekt; ihre Reaktion ist sowohl von Misstrauen in die eigene Belegschaft als auch von tradierten Gesprächsritualen geprägt, es fällt ihnen schwer, neue Arbeitsformen zu akzeptieren und zu praktizieren. Etliche Schulen in Deutschland machen uns in der Krise vor, zu welchen positiven Ergebnissen Kreativität und Vertrauen zwischen Lehrkräften und ihren Schülerinnen und Schülern führen kann.
Dies ist nicht nur ein Generationenproblem, auch bei jungen Führungskräften ist „Anwesenheitskultur“ fest verankert und sie zeigen dies beispielsweise im dienstlichen Beurteilungsverhalten. Wer nicht ständig im Blickfeld des „Erstbeurteilers“ präsent ist, gerät leicht ins Hintertreffen, unabhängig von seiner tatsächlichen Leistung. Das spüren schon jetzt Beschäftigte, die gelegentlich außerhalb der „Stammdienststelle“ andere dienstliche Verpflichtungen wahrnehmen, etwa in der Personalvertretung.
Die Polizei der Zukunft darf nicht nur die Domäne einiger weniger Spezialisten sein. Die Sicherheitsbehörden müssen in ihrer ganzen Breite in der Lage sein, die innovative Kraft künstlicher Intelligenz zu nutzen; sie müssen den Feinden unserer Freiheit und Sicherheit endlich wieder einen Schritt voraus sein und sämtliche Register modernster Kommunikationswege ziehen.
Das heißt übrigens nicht, die menschliche Komponente guter polizeilicher Zusammenarbeit aus dem Blick zu verlieren, im Gegenteil. In der Vergangenheit mussten viele Beschäftigte der Polizei erleben, wie Führungskräfte die verbrauchten Thesen teurer Unternehmensberater bemühten, um möglichst modern und zukunftsorientiert zu erscheinen. Mit den seltsamen Methoden von „Steuerung und Führung“ wurde vielfach vor allem eine Spaltung der Führungsebenen der Polizei von den vor Ort Beschäftigten erreicht, die diese Strategien eher als „Steuerung statt Führung“ erlebt haben. Viele von ihnen haben nur noch grimmigen Humor für das Gerede vom Bürger als „Kunden“ und anderen Worthülsen, die für eine Behörde völlig untauglich sind.
Die Polizei der Zukunft wird ohne eine völlig neue Führungskultur nicht gelingen. Klimawandel ist nicht nur gut für die Umwelt, der Begriff ist auch auf das Innenverhältnis der Polizei anwendbar und ist dort auch dringend notwendig. Die Führungskräfte der Polizei haben einen herausragenden Zukunftsauftrag, nämlich die vielen Möglichkeiten modernster Technologien mit empathischer Führungsleistung zu verbinden.
Und genau daran sollten sie auch gemessen werden.
Quelle: Moderne Polizei (2/3-2020)
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