Anordnung Grenzkontrollen
"Völlig untauglich, um gegen illegale Migranten vorzugehen"
Die Vorschläge der Ampel zur Begrenzung der illegalen Migration bringen nichts, sagt der Bundesvorsitzende der DPolG Bundespolizeigewerkschaft Heiko Teggatz im Interview mit dem Magazin Cicero. Der Bundesregierung wirft er vor, sich hinter EU-Recht zu verstecken, weil sie das bestehende deutsche Recht nicht anwenden wolle.
Cicero: Schon 2015 schrieb der Kölner Jurist Ulrich Vosgerau in der Dezember-Ausgabe des Cicero: „An der Grenze zwischen Bayern und Österreich findet seit Wochen ein staatlich initiierter Rechtsbruch statt.“ Innerhalb weniger Jahre entstand eine völlige Rechtsblindheit in staatlichen Stellen. Wie sehen Sie das?
Heiko Teggatz: Diese Phase hält bis heute an, und ich kann mir genau vorstellen, was Herr Vosgerau mit seinem Argument ausdrücken möchte. Der Punkt bezieht sich auf die sogenannte Drittstaatenregelung, die nach unserem Grundgesetz weiterhin Bestand hat. Nun ist es in der Tat so, dass Rechtsgelehrte und „Rechtsexperten“, also auch NGOs, der Auffassung sind, es gebe ein primäres und ein sekundäres Recht – das Europarecht stünde über dem nationalen Recht. Wenn das Europarecht Vorrang hat, darf die Bundesrepublik Migranten, die aus sicheren EU-Staaten einreisen, nicht zurückweisen oder -schieben.
Ich bin da anderer Meinung, denn Verfassungsrecht, in diesem Fall Artikel 16a, muss primär sein. Wenn dort geschrieben steht, dass der Asylantrag eines Antragstellers, der sich zuvor in einem sicheren Drittstaat aufgehalten hat, unbegründet ist, dann muss an der Grenze eine Zurückweisung stattfinden.
Cicero: Sie erwähnten im Vorfeld, dass Deutschland als EU-Binnenland theoretisch kaum betroffen sein dürfte. Mit Blick auf die letzten neun Jahre: Verschwimmen Recht und Praxis, wenn es um die europäische Migrationspolitik geht?
Teggatz: Es verschwimmt nicht nur, sondern ist kaum mehr existent. Im politischen Raum, das hat die vorgestrige Positionierung der Ampel nochmals konkret gezeigt, findet keine Anwendung der nationalen ausländerrechtlichen Vorschriften mehr statt.
Cicero: Die gestrigen Gespräche zwischen CDU und Ampel scheiterten mit einem Abbruch seitens der Union: „Die Maßnahmen gehen nicht weit genug.“ Dabei soll es gerade um die Ausweitung der Zurückweisungen gehen, die in Faesers Konzept nicht vorgesehen sind. Nun sollen Migranten im Grenzraum festgehalten und überprüft werden. Wie beurteilen Sie das?
Teggatz: Das ist völlig untauglich, um gegen illegale Migration vorzugehen – insbesondere in der Praxis. Innenministerin Faeser äußerte gestern sinngemäß, die Bundespolizei solle jetzt für die Prüfung der Dublin-Rückführungen zuständig sein. Es soll also der sogenannte Eurodac-Abgleich durchgeführt werden, um festzustellen, ob die zu prüfende Person bereits in einem anderen europäischen Staat registriert worden ist. Falls dies der Fall ist, gilt diese Person als Dublin-Fall und bleibt in Deutschland, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind, in Abschiebehaft. Das ist die Theorie.
In der Praxis greift die Bundespolizei beispielsweise in Rosenheim zwanzig unerlaubt eingereiste Personen auf. Von diesen sind zehn Dublin-Fälle. Nun muss eine Kontaktaufnahme mit den jeweiligen Staaten erfolgen, was in der Regel länger dauert als die erlaubte Gewahrsamszeit – also der darauffolgende Tag. Länger ist dies nicht gestattet. Schlussfolgernd bringen die Kollegen die Personen vor das Amtsgericht, um eine richterliche Anordnung für das Abschiebegefängnis einzuholen.
Erste Hürde: Wie soll das mitten in der Nacht geschehen? Ich bin überzeugt, dass kein Bundesland auf eigene Kosten eine 24/7-Richterbereitschaft stellen würde. Somit müsste bis zum nächsten Geschäftstag gewartet werden.
Zweite Hürde: Selbst wenn der Richter gewillt ist, die Person in Abschiebehaft zu bringen, müssen erst einmal Kapazitäten vorhanden sein. In ganz Deutschland gibt es 800 Plätze, verteilt auf die ganze Bundesrepublik. Zudem dürfen nur 400 davon genutzt werden, denn laut Rechtsprechung dürfen Abschiebehäftlinge nicht mit Strafvollzugshäftlingen einsitzen. Dementsprechend kann es sein, dass drei Streifenwagen von Rosenheim nach Glückstadt in Schleswig-Holstein fahren müssen, um die Personen dort abzuliefern. Normalerweise würden diese eine Schleierfahndung oder stationäre Grenzkontrollen durchführen. Ich behaupte zudem, dass die genannten Kapazitäten bei gleichbleibendem Zustrom nach drei Stunden erschöpft wären. Somit kommt der größte Teil der Dublin-Fälle gar nicht mehr in Abschiebehaft, sondern wird mit einer Meldebescheinigung zur nächsten Aufnahmeeinrichtung geschickt.
Cicero: Die eingesetzten Grenzkontrollen zur Europameisterschaft waren ein voller Erfolg. Rund 22.000 Beamte kontrollierten die Bundesgrenze. Ihr Gewerkschaftskollege Ostermann sagt jedoch, dass man sich dies mit den vorhandenen Kapazitäten nicht leisten könne. Nun soll die Grenzsicherung aber Mitte des Monats beginnen. Ist das überhaupt realisierbar?
Teggatz: Manuel Ostermann hat sich auf den Einsatz während der Europameisterschaft bezogen. Dort war die Bundespolizei nicht nur massiv an der Grenze, sondern auch an Bahnhöfen im Einsatz. Die verstärkte Kontrolle von Zügen und Bahnhöfen wird jetzt nicht mehr der Fall sein. Dennoch ist der Personalaufwand, um die angeordneten Grenzkontrollen durchzuführen, höher als im Alltag. Wir sind also gezwungen, die eisernen Reserven, sprich die Bundesbereitschaftspolizei, zu mobilisieren.
Cicero: Warum erfolgt nun die Anordnung der Grenzkontrollen?
Teggatz: Dafür gibt es nur einen Grund: Die Bundespolizei soll zur Grenzbehörde werden. Denn nur wenn sie eine Grenzbehörde ist, darf sie auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen in eigener Zuständigkeit treffen. Das mag verrückt klingen, aber bislang darf eine Grenzstreife weder zurückschieben noch -weisen. Wir sind verpflichtet, unabhängig davon, ob ein Asylantrag gestellt wurde oder nicht, die Person an die zuständige Landesaufnahmestelle zu verweisen.
Die Bundespolizei ist nämlich nur dann eine Grenzbehörde, wenn Grenzkontrollstellen eingerichtet sind – in der Regel gibt es diese nur an Flughäfen.
Cicero: Der ausschlaggebende Faktor sind also besagte Grenzkontrollstellen? Eigentlich hat man die Vorstellung, dass die Bundespolizei vor allem für die Grenzsicherung zuständig ist.
Teggatz: Das stimmt. Aber nur zur Gefahrenabwehr, nicht zur Durchsetzung grenzpolizeilicher Maßnahmen. Deshalb folgt nun diese Anordnung der Ministerin. Das haben wir der Bundesregierung schon vor Jahren vorgeschlagen: Mit einem Federstrich im Paragrafen 71 des Aufenthaltsgesetzes würde man die Bundespolizei zur Grenzbehörde machen. Das würde die Möglichkeiten auf einen Schlag ausweiten.
Cicero: Warum wehrt sich die Politik dagegen?
Teggatz: Fragen Sie mich nicht! Die Große Koalition hat 2021 solch ein Gesetz beschlossen und verabschiedet. Letztendlich scheiterte es jedoch am Widerstand der Länder im Bundesrat. Mittlerweile haben wir eine Situation, in der sich die Länder diese Norm wünschen, weil es eine tatsächliche Entlastung darstellen würde.
In dem Moment, wo die Bundespolizei zur Grenzbehörde wird, darf sie, beziehungsweise der Bund, auch eigene Abschiebezentren betreiben. Das war übrigens auch schon einmal in Planung: Man wollte in Berlin ein Terminal am Schönefelder Flughafen und in Frankfurt die alte US-Airbase anmieten. Damit hätte man also zwei zentrale Ausreisegewahrsamsstellen gehabt, in denen die Bundespolizei in eigener Zuständigkeit hätte ausweisen können. Die Kapazität wäre zudem enorm erhöht worden.
Aber diese Ampelregierung unter Beteiligung der Grünen bringt dieses Gesetz natürlich nicht mehr in den Bundestag.
Cicero: Wenn die Bundespolizei nun Mitte des Monats mit den Grenzkontrollen beginnt, mit welchen Anordnungen wird sie arbeiten?
Teggatz: Derzeit befinden wir uns in der Situation, dass überall dort, wo Grenzkontrollen angeordnet sind, auch zurückgewiesen wird – allerdings nur der Teil der Menschen, die keinen Asylantrag stellen, mit einer Wiedereinreisesperre belegt sind oder bereits in Österreich registriert wurden.
Cicero: Innenministerin Faeser sprach am Montag in einer Pressekonferenz von einer EU-rechtskonformen Lösung. Welche rechtlichen Punkte verhindern laut Faeser eine konsequente Durchsetzung des deutschen Rechts?
Teggatz: Frau Faeser bezieht sich indirekt immer auf ein Urteil des EuGH. Im Prozess ging es um die Klärung der Frage, ob Frankreich, ohne Grenzkontrollen eingerichtet zu haben, nach Italien abschieben darf. Das Gericht entschied: „Nein.“ Frankreich sei es nicht gestattet, mit einer nationalen Weisung nach Italien zurückzuweisen, weil die EU-Rückführungsrichtlinie dies unterbindet. Jedoch steht in der Urteilsbegründung, dass, falls zwischenstaatliche Polizeiverträge bereits vor 2006 geschlossen wurden, dem keine Folge zu leisten ist.
Die Bundesrepublik hat solche Verträge schon lange davor mit all ihren Anrainerstaaten verhandelt. Deshalb interpretiere ich, dass dieses Urteil des EuGH in Deutschland keine Wirkung entfaltet. Darum ist es offensichtlich politisch gewollt, dieses Urteil anders zu interpretieren, obwohl die juristischen Meinungen weit auseinandergehen.
Cicero: Rück- und Abweisungen sind somit nur in manchen Fällen möglich. Das eigentliche Ziel, zumindest eines Großteils der Bevölkerung, ist die Eingrenzung beziehungsweise Verringerung der Migration. Was wären echte Stellschrauben?
Teggatz: Es gibt drei wichtige Stellschrauben.
Nummer eins: Die Reduzierung der Pull-Faktoren. Deutschland leistet sich die komfortabelste Möglichkeit, Migranten unterzubringen. Wir setzen den Anreiz, unbedingt nach Deutschland zu kommen. Das Oberverwaltungsgericht Münster sowie das Saarland haben im Zusammenhang mit dem Verbot von Dublin-Rückführungen nach Griechenland den Mindeststandard für die Unterbringung in ganz Europa definiert – das sogenannte „Bett, Brot und Seife“-Urteil. Somit dürfen keine Zurückführungen nach Griechenland geschehen, da dies dort nicht garantiert ist. Umgekehrt könnte man jetzt sagen: Das Urteil definiert auch den Mindeststandard für Deutschland. Ohne Bezahlkarte oder Bargeld würde man den Anreiz schon einmal stark schmälern.
Nummer zwei: Solange das Schengener System nicht funktioniert und Menschen durch Vertragsstaaten reisen, ohne registriert zu werden, muss es Deutschland gestattet sein, von seinem nationalen Recht Gebrauch zu machen.
Nummer drei: Die konsequente Abschiebepraxis all jener, die in Deutschland kein Bleiberecht mehr besitzen. Wir reden da von 300.000 Ausreisepflichtigen, darunter keine Syrer und Afghanen. Rund 50.000 sind sogar sofort vollziehbar ausreisepflichtig. Die Papiere sind bereits vollständig, und es fehlt eigentlich nur ein Flugticket.
Diese drei Stellschrauben sind jetzt bitter nötig, um die ganze Problematik in den Griff zu bekommen. Wenn diese nicht betätigt werden, wird es kritisch.
Quelle: cicero.de